Die Bachmann-Literaturpreisträgerin Katja Petrowskaja im Kreis Olpe

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Mehr als 70 Jahre sind seit Kriegsende vergangen. Das große Leid jener Zeit ist auch heute noch vielen Zeitzeugen bewusst. Der Kreis Olpe verlor im Zweiten Weltkrieg fast 4.000 Söhne an allen Fronten des Wahnsinns, fast 700 Zivilisten starben unter Bomben und beim Einmarsch der Amerikaner in die Heimat. Es gibt aber auch eine weitere Statistik, eine unbequeme und fremde, die uns ebenfalls betrifft und die wir nicht vergessen dürfen: Während des Krieges wurden rund 7.000 Zwangsarbeiter im Kreisgebiet beschäftigt. Und nicht wenige von ihnen kamen unter oft unmenschlichen Bedingungen ums Leben. Diese Opfer der NS-Gewaltherrschaft und ihrer willfährigen Helfer liegen auf verschiedenen Friedhöfen in allen Teilen des Kreises Olpe beerdigt.
Eine besondere Bedeutung offenbart sich jedoch erst, wenn man sich einmal intensiv mit dieser Thematik beschäftigt. Vor einigen Wochen war eine außergewöhnliche Frau zu Gast im Kreis Olpe. Auf Einladung von „KulturA“, des Attendorner Vereins für Kunst und Kultur, las die Bachmann-Preisträgerin Katja Petrowskaja aus ihrem Erzählband „Vielleicht Esther“. In diesem Buch legt sie Fragmente eines zerbrochenen Familienmosaiks frei, Geschichten rund um ihre jüdischen Vorfahren in der Ukraine. Da ist der große Mord von Kiew, in der Schlucht von Babij Jar, in der Ende 1941 in wenigen Tagen mehr als 33.000 Juden von Deutschen und Ukrainern erschossen wurden, oder auch das Schicksal ihres Großvaters, der im KZ Mauthausen, mitten im schönsten Österreich bei Linz an der Donau, als Zwangsarbeiter bis auf die Knochen ausgebeutet wurde.
Katja Petrowskaja studierte im estnischen Tartu Literaturwissenschaften und promovierte in Moskau. Sie lebt seit 1999 als Journalistin in Berlin und arbeitet für russische und deutsche Print- und Netzmedien.

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Auf einem der zahlreichen Zwangsarbeiter-Freidhöfe im Kreis Olpe- Viele der Namen auf den Grabsteinen sind falsch geschrieben.


Bei ihrem Aufenthalt im Kreis Olpe nahm sie sich viel Zeit und ließ sich verschiedene Plätze zeigen, die mit ehemaligem jüdischen Leben, aber auch mit dem Schicksal der zahlreichen Zwangsarbeiter in Verbindung stehen. Es mag sein, dass sie auch bei uns manchen Impuls für ihr neues Buch mitgenommen hat, das sie zurzeit in Kiew schreibt. Betroffenheit verursachte dabei die Tatsache, dass zahlreiche Namen auf den Gräbern der Zwangsarbeiter aus dem Osten nicht einmal richtig geschrieben sind. Die Autorin entdeckte Schreibfehler, die wohl nur darauf zurückzuführen sind, dass die kyrillisch schreibenden Ostarbeiter ihre Namen zu sagen hatten, die dann von Deutschen einfach lautmalerisch aufgeschrieben wurden. In diesem Zusammenhang kam die Sprache auf die inzwischen sehr gut funktionierenden Suchdienste in der Ukraine, die sich bis heute um das Schicksal der Zwangsarbeiter des Zweiten Weltkriegs kümmern. Vielleicht wäre es doch einmal eine Arbeit für höhere Schulklassen, den Toten auf den Friedhöfen des Kreises ihre wahren Namen wiederzugeben.
von Achim Gandras [Text/Fotos]
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