Das Bahnhofs neue Kleider

WOLL Sauerland Bahnhof Hützemert

Reges Treiben herrscht am alten Bahnhof von Hützemert. Männer im Blaumann schleppen Eimer mit Abbruch aus dem Haus, tragen Farbeimer hinein, klopfen Putz von den Wänden, lackieren Türen in deren ursprünglicher Farbe – es riecht nach Aufbruch, wenn man an dem denkmalgeschützten Gebäude vorbei kommt.
Seit Mitte des Sommers 2013 arbeiten die Mitglieder des Dorfvereins Hützemert mit vereinten Kräften und finanzieller Unterstützung von Land und Stadt daran, aus dem heruntergekommenen Bahnhofsgebäude von 1903 ein schmuckes Dorfgemeinschaftshaus mit Jausenstation entstehen zu lassen. Der Weg bis dorthin war nicht so einfach, wie einer der Geschäftsführer des Dorfvereins, Sascha Koch, erzählt. Schon 2008 hatte sich der Arbeitskreis Alter Bahnhof gegründet, mit dem Ziel, den alten Bahnhof, den die Stadt beim Erwerb der Bahntrasse hatte mit übernehmen müssen, einer neuen Bestimmung zuzuführen. Doch stellte sich der Stadt die Frage, was sie mit dem Gebäude anfangen sollte.
Hier waren die Hützemerter schnell bei der Sache, denn sie konnten sich gut vorstellen, einen Dorfmittelpunkt mit einem Dorfgemeinschaftshaus entstehen zu lassen. So groß der Ort auch ist – immerhin rangiert er mit ca. 1.100 Einwohnern gleich hinter dem Zentralort Drolshagen –, es gibt dort keinen gewachsenen Ortsmittelpunkt. Den Grund sieht Koch in der schnellen Entwicklung des Ortes mit dem Bahntrassenbau vor mehr als 100 Jahren. „Durch den Bau der Bahntrasse war Hützemert für die Arbeiter und auch Firmen interessant geworden“, erzählt der geschichtsinteressierte Koch, „und damit mussten auch schnell Häuser für die Arbeiter gebaut werden. Das hat natürlich eine langsame Entwicklung des Ortes verhindert.“ Kuriosum am Rande: Die Finanzierung des Trassenbaus zog sich – wie die Finanzierung des Bahnhofsumbaus – wie Kaugummi in die Länge.
Ideen, wie das denkmalgeschützte Gebäude zum Dorfgemeinschaftshaus umgebaut werden könnte, gab es viele. Nachdem sich nicht nur Interessierte, sondern auch Fachkundige mit dem Anwesen beschäftigten, gab es bald konkrete Pläne, wie man die Ideen verwirklichen könnte. Ein Haus mit Räumen für die ortsansässigen Vereine sollte es werden, mit einem Veranstaltungsraum, in dem auch mal ein Konzert stattfinden kann, und nicht zuletzt sollte es eine Einkehrstation für Radler und Wanderer geben.
Bei all den Planungen war es den Verantwortlichen, damals noch der Arbeitskreis Alter Bahnhof (AK), wichtig, das gesamte Vereinsleben des Ortes in der Findungsphase mit einzubeziehen. „Wir wollten und wollen kein Gegeneinander, sondern ein vereinsübergreifendes Miteinander mit dem Dorfgemeinschaftshaus“, beschreibt Koch die Intention des Arbeitskreises. So richtig schwer fiel es den AK-Mitgliedern nicht, die anderen Vereine von dem Vorhaben zu überzeugen. Sicher gab es auch gerade in der Anfangsphase Kritiker des Projekts, aber diese verstummten ziemlich bald, nachdem die Planungen konkrete Formen annahmen.
Die zweite Hürde, die sich den engagierten Einwohnern stellte, war dagegen wesentlich schwieriger zu überwinden. Wie sollte man das Geld für ein so ambitioniertes Projekt zusammenbekommen? Von der Stadt gab es zwar viel ideelle Unterstützung, aber Geld war hier nicht wirklich zu bekommen. Sollte man sich an die Regionale wenden? Hier wurde, obwohl das Projekt als prinzipiell förderwürdig angesehen wurde, abgewunken: Zu klein sei es für eine Regionale-Förderung. Irgendwie drehte man sich im Kreis. Erst durch das Hinzuziehen des Büros „Initiative ergreifen“, das sich die Unterstützung von Projekten, die bürgerschaftliches Engagement und Stadterneuerung wirksam miteinander verknüpfen, auf die Fahnen geschrieben hat, kam man weiter. Hier wurde unter anderem die Idee geboren, über eine Projektfamilie, in der sich mehrere Projekte der Größenordnung Hützemerter Bahnhof unter dem Titel „10x Landleben – Bürger machen Heimat“ zusammenschlossen, Fördergelder über die Regionale zu bekommen. Und damit tat sich dann eine Tür nach der anderen auf. Doch die Initialzündung kam von den beiden heimischen Kreditinstituten. Sie waren bereit, den notwendigen Kredit ohne die üblichen Sicherheiten zu gewähren. Erst dadurch konnten die bereitgestellten öffentlichen Fördermittel fließen. In mittlerweile mehr als 4.000 Arbeitsstunden in Eigenleistung haben viele ehrenamtliche Helfer in ihrer Freizeit, abends und am Wochenende, Hand angelegt, gemauert, abgerissen, freigelegt, gestrichen, Estrich gelegt, gefliest und viele kleine Handreichungen gemacht. Immer unter dem wachsamen Auge des Denkmalschutzes. Eine der wenigen an einen heimischen Hand-werker vergebenen Arbeiten war das neue Schiefern des Bahnhofsgebäudes. Nach alten Vorlagen wurde der Bahnhof neu verschiefert, selbstverständlich mit echtem Sauerländer Schiefer. Auch die Fenstersimse müssen aus einem bestimmten heimischen Holz sein, damit der Denkmalschutz zufrieden ist.
Interessant dabei ist, dass es tatsächlich mehrere baugleiche Bahnhofsgebäude an der Strecke Dieringhausen – Bergneustadt – Olpe gab. So glichen sich die Bahnhöfe von Eichen, Hüt-zemert und Bruchhausen (Wiedenest) aufs Haar. Und selbst das Gebäude in Drolshagen war, wenn auch größer, so doch baugleich. Zum Glück, möchte man fast sagen, denn dadurch konnte das kaputte Geländer im Hützemerter Gebäude durch eines aus einem anderen Bahnhofsgebäude ersetzt werden. Das Baukastensystem ist also keine Erfindung unserer Zeit. Zeit- und materialsparendes Bauen kannten schon unsere Vorfahren.
Nach und nach erstrahlt das historische Gebäude in neuem Glanz. Dabei ist den Planern wichtig, dass der Bahnhofscharakter erhalten bleibt. Der ein oder andere Alteingesessene wird sich noch daran erinnern können, wo bis 1965 die Fahrkartenausgabe gewesen ist. Hier findet sich heute der Durchgang der Anrichteküche, ehemals der Wartesaal III. Klasse, zur Jausenstation. Ein besonderes Kleinod stellt auch der Wartesaal II. Klasse dar. Hier soll die „Gute Stube“ des Gemeinschaftshauses entstehen. Wie sie genutzt wird, darüber können die Vereine noch selbst entscheiden.
Alte Substanz mit neuer Nutzung verbinden ist das Credo. Hierzu zählt sicher als besonderes Highlight der Veranstaltungsraum. Früher als Güterschuppen genutzt, bietet er heute Veranstaltungen mit bis zu 100 Gästen Platz; ein aufgeschnittener Güterwaggon steht dort als Bühne zur Verfügung.
Einen großen Bahnhof bekam der Bahnhof zur Eröffnung als neues Dorfgemeinschaftshaus und Begegnungsstätte mit dem Start der Tour Natur 2014 und der Anwesenheit des Umweltministers Johannes Remmel am 6. September geboten. Ganz standesgemäß wurde dann die Jausenstation von vielen 100 Radfahrern erobert und gemäß dem Motto „Dorfmittelpunkt“ haben die Hützemerter mit ihren Gästen kräftig gefeiert.


von Silke Clemens [Text], Christian Feldmann [Fotos]
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